maandag 26 augustus 2019


zaterdag 31 mei 2008

de geur van nat haar int duits

VITALSKI
Der Duft von nassem Haar

TEIL I


1.
Diese Geschichte mit dem Titel , nahm ihren tatsächlich geschehenen, schicksalhaften Lauf an einem scheußlich kalten Sylvesterabend. Ein eisig klirrender Blasewind wehte unbändig gegen die Süd-Antwerpener Häuserfassaden, während das Gros der Bevölkerung wie im Auftrag Luzifers außer sich zu geraten schien. Wir gingen es jedoch etwas ruhiger an. Ginette, mit der ich damals verheiratet war, hatte ein paar sogenannte zu Besuch: Den Gregor, Den Dicken Eddie, Den Michel Dierckxsen… Wir hatten uns heftig an einem Käsefondue gütlich getan und waren anschließend damit beschäftigt, uns einige Videofilme aus Eddies Videothek anzuschauen: Toy Story, Bernhard und Bianca, Alice im Wunderland… Zumindest bis dieser besagte Idiot, Der Eddie sich daran machte, als sei es unvermeidlich, einen sogenannten zu rollen - , nannte er diese Art Stoff; will sagen ein Gemisch aus Hasch und Gras - plus, da noch obendrein und zwischendurch pulverisierte Kokablättchen. Noch bevor es zwölf Uhr wurde, mußte er sich - komplett paranoid - hinter dem Duschvorhang verschanzen; er fürchtete nämlich, jeden Moment größer oder kleiner zu werden wie Alice im Wunderland auf dem Bildschirm. Einen panischen Augenblick lang drohte Der Eddie, mit dem Schädel voran bis zu den Schultern durch die Zimmerdecke zu stoßen, während er im unmittelbar darauf folgenden Moment just fürchtete, wir würden ihn in sowas wie einer Tasse Kaffee ertränken. Der Eddie war schon immer ganz schön labil, doch heute brach er zweifelsohne alle Rekorde!
Unterdessen wehte noch immer dieser dämonisch wehende Wind. Ab und zu klappten die Fensterläden auf, als hielte eine neue Eiszeit, gleich einer Geisel Gottes, ihren Einzug. Auch Der Gregor steckte sich eine Art Superflash an.
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<> sprach er, <>
Obwohl Der Gregor so gut wie die Kraken wußte, daß ich schon seit Jahren keine Drogen mehr nahm!? Davon hatte ich doch, seit meinem Vier-, Fünfundzwanzigsten, die Nase voll gehabt? Rasender Herzschlag, gruselige Atemnot mitten in der Nacht, und Schuppen! Und Augenweiß so weiß wie Pisse - genug von alledem!!
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<>, so fragte Ginette an meiner Stelle. Plötzlich war sie dazugestoßen – woher sie kam, wußte niemand.
<>, sprach Der Gregor aus, <>
Bei Der Freien Zeitung?? Doch nicht - oh, Heiland! - Doch nicht etwa die widerliche, total menschenunwürdige Pseudotageszeitung Die Freie Zeitung? Mindestens achtzig Prozent dieses kleinen Unblattes zehrte von Verkehrsunfällen! Oder von Sport, und dann auch noch von Fußball! Ja, immer dieser Fußball - mit dem Fußball schien die Weltgeschichte zu Ende zu gehen! Und immerfort waren da diese scheußlichen Farbfotos in Der Freien Zeitung, auf jeder Seite ständig irgendwelche zahnlos dreingrinsenden Großmütter, die vor ihrer ekelhaften, betongrauen Häuserwand posierten, weil da tags zuvor ein LKW durchgebrettert war! Angeblich erfreute sich Die Freie Zeitung seit kurzem eines Verkaufsbooms, wenn auch nur deshalb, weil man eine neue Farbbeilage hinzugefügt hatte: Plop, der Kobold oder so etwas.
Der Gregor erklärte sich genauer. <> so sagte er, <>
<>, sagte Ginette, während sie ihre Netzstrümpfe hochzog.
<> sagte Der Gregor. <> Er schaute mich ohne irgendeinen Gesichtsausdruck an. Jesus, was hatte dieser Trottel für einen viereckigen Kopf! Mein Gott, was sollte ein Normalsterblicher nur damit anfangen? Es sah schlichtweg aus wie ein Holzklotz auf zwei Schultern!
<> so sprach er, <>
Herzlichen Dank, lieber Mister Gregor! Spitze gemacht, was für eine ungeheuerliche Wohltätigkeit!
<> sagte Ginette. <>
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2.
Zwei Sanitäter kamen Den Eddie schließlich abholen.
<>, so fragten sie, ganz schön angepißt.
<>, sagte ich.
Mich zwangen, mit ziemlich faschistischen Methoden, allerlei Papierkram zu unterzeichnen - <>
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Wie bitte? 7.500 Piepen!!! Aus meiner eigenen Tasche, denn wer sonst würde dafür aufkommen müßen? Aber so lief das nun mal – auf diese Weise feierten die Leute ihre Partys. Am meisten Spaß hatte man, wenn man endlich einmal in Ruhe gelassen wurde. Wenn man’ s ruhig angehen lassen konnte, einfach einatmen und ausatmen, ohne Ärger am Hals, ohne irgendwelche Kleidung an, abgesehen von den Turnsocken vielleicht - und verriegelter Tür. Doch das passierte nicht so häufig! Ostern, Dreikönige, Geburtstagsfeiern, Karneval – immer gab es irgendwelche Verpflichtungen, denen man sich nicht entziehen konnte! Niemand genoß es, aber es konnte sich dem auch niemand entziehen.


3.
Ich rief also diesen Deppen von Der Freien Zeitung an. Mir blieb nichts anderes übrig, weil wir nämlich unübersehbare Geldprobleme hatten. Ginette arbeitete tagsüber für einen Plakatbetrieb und abends für einen Indonesier. Ich für meinen Teil lebte von der Sozialhilfe. Doch das konnte so nicht weitergehen, die Situation war zu erniedrigend.
<>, so stand es auf der Visitenkarte. So hieß der Chefredakteur Der Freien Zeitung. Sobald Herr Verstijvens ans Telefon ging (nach einer übertrieben langen Zeit!), überbrachte ich ihm sogleich die ausführlichsten schleimigsten Grüße von Dem Gregor. Verstijvens Groschen schien allerdings kaum fallen zu wollen. Er fragte mich nicht dreimal, sondern fünfzehn mal: Wieso nun eigentlich dieser Anruf? Und: Wie war gleich der Name? Wie?
<>, sagte ich immerfort.
Meinen Nachnamen mußte der Stümper sich mal selbst dazuerfinden. In ganz Antwerpen war doch wohl nur ein einziger Vitalski aktiv? Oder kannte er zufällig noch einen Vitalski Bastiaensen oder einen Vitalski Wellens oder einen Vitalski Verreckenhoven!?
Schließlich kam es dann doch noch zu einem Termin. Morgen – um neun Uhr morgens! Verdammt früh aufstehen, wie die Küken! Ob es auch etwas später ginge, am liebsten erst so um zwei Uhr nachmittags, solches wagte niemand den Kerl zu fragen.
<>, fuhr er mich an.
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Ginette war aus arbeiten, dort drüben, im indonesischen Restaurant auf dem Alten Kornmarkt. Ich hatte schon ein Weilchen, was man wohl ein Verhältnis nennen durfte - mit einem Mädchen namens Eefje. Nicht, daß ich es selbst wollte, aber sie war ganz fürchterlich verliebt in mich. Wirklich alles, was ich machte, fand sie fantastisch. Wenn sie bloß ab und zu bei mir sein konnte! Also rief ich sie mal wieder auf ihrem Handy an. Eefje war ja eine der ersten in Belgien, die ein Handy besaß. (Inzwischen hatte jeder ein Handy, aber damals war das noch etwas Besonderes. Das erregte Aufsehen.)
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<> In Wirklichkeit hatte sie jedoch einen Termin bei Leatos, dem homophilen Friseur auf der Ecke vom Pferdemarkt. Aber das spielte jetzt keine Rolle mehr, sie würde gleich vor meiner Tür stehen. Sie hatte, sagte sie, den ganze Abend frei. Ich legte wieder auf, öffnete meinen Pulli und stellte mich auf den Balkon. Das Straßenbild, die geparkten Automobile dort bei dem schäbigen, desolaten Park, das alles durchtränkte mein Gemüt mit einer absoluten Düsternis. Vielleicht würde es noch in eine Depression münden.
Was bekam ich schon gebacken? Will sagen, von meiner ? Universitätsausbildung, sogar zwei Diplome: eines in Jura und eines in Medizin - cum laude in Medizin! Es hatte eine Zeit gegeben, da war ich der meistversprechende Student Europas. Und trotzdem wurde verdammt nochmal nichts mehr aus mir! Ein vulgärer Quälgeist war ich, mehr nicht, wie es schon so viele gab. Sie wohnten zur Miete und holten dreimal pro Woche eine Dosensuppe aus ihren traurigen Mikrowellen!
Auf dem Kaminsims in der Küche sah ich das Päckchen Hasch liegen, das Der Dicke Eddie hier liegengelassen hatte. Ganz ausnahmsweise, ohne daß ich selbst gewußt hätte, warum, begann ich eigenhändig daraus eine mächtige Tüte zu rollen – eine , wie sie das nannten. Genau wie damals, in der guten alten Zeit – ich hatte es also noch nicht verlernt!? Ich stellte mich wieder auf den Balkon und fing an zu blowen, als hinge mein Leben davon ab. Mit jedem Zug, den ich nahm, schienen meine schwermütigen Zweifel von gerade eben, das Minderwertigkeitsgefühl, die absolute Selbstverachtung mit allem was da so dazugehörte, doch schnell wieder zu verebben. Vielmehr wurde ich, immer eindringlicher sogar, von einem langsamen, aber doch tiefen Gefühl des Wohlbefindens übermannt – ja, einem Gefühl endlichen Friedens! Definitive Glückseligkeit und Harmonie!
Unten auf der Straße gingen ein paar ziemlich aufreizende, supergeile Mädels vorbei mit einem Tennisschläger in ihren Tragetaschen, mit solch herrlichen, wackelnden Hintern… Hier müßte ich, dache ich, für immer stehenbleiben können und schauen! All das Getue, um das sich die Menschheit ständig Sorgen machte… Ich hatte sie doch alle in Ruhe gelassen? War es denn so schwierig, einander einfach mal kurz in Ruhe zu lassen?


4.
Ich lag im Schlafzimmer, um wieder etwas zu mir zu kommen, als es an der Tür klingelte! War Eefje angekommen? Auf Socken ging ich mal nachschauen. Es gehört sich für Liebhaber, sich schick anzuziehen, die Zähne zu schrubben, ebenso, wie sich eilig den feuchten, katholischen Haarschopf mit einem Taschenkamm zu einem sexy Seitenscheitel zu legen, doch ich für meinen Teil sah aus wie ein halber Zombie. Wie war es nur möglich, daß so ein junges Klassemädchen, wie Eefje eines war, so einen dramatischen Schlemihl wie Vitalski tatsächlich begehrte? Und doch... Sie davon abzuhalten, war auch nicht möglich.
<>, so fragte sie, ganz schön erschrocken. Sie kannte mich schon länger als seit heute Mittag.
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Ihre Erscheinung war wieder einmal schrecklich anrührend. Das ging zu weit, wurde fast peinlich. Ich hätte heulen können, oder umgehend meine Familie anrufen: um denen allen zu erzählen, wie ich von jetzt an mein Leben bessern würde. Meinem älteren Bruder zum Beispiel hatte ich schon vier Jahren keinen Besuch mehr abgestattet - schon vier Jahre! Und selbst wenn er mir mal eine Karte schrieb, rührte ich keinen Finger, kam von meiner Seite nichts zurück! Er hatte einen kleinen Sohn, ungefähr sechs Jahre alt? Wie mochte das Kerlchen inzwischen wohl aussehen? Wußte der Kleine überhaupt von der Existenz eines Onkels Vitalski?
Eefje bedeutete mir mehr als einfach nur der erstbeste Beischlaf, weil sie mich aufrichtig liebte. Selbstlos, um es einmal so auszudrücken. Sie brachte mich zur Duschzelle, sprühte mich mit eiskaltem Wasser ab. Aber wirklich eiskaltem, - man hätte schreien mögen, so kalt fühlte sich das Wasser an! Dann wusch sie mir die Haare mit schwarzem Shampoo: Antischuppen. <>, stöhnte sie begehrlich, <>. Und dann meine Schultern, meinen Hintern, mein mageres, zitterndes Gerippe! Sie fuhr sogar mit einem Waschlappen durch meine Ritze. Während das Wasser wie ein harter Eisstrahl brauste, kniete sie noch immer vor mir nieder. Mein männliches Teil begann sie zu benutzen!? Das war allerdings das Letzte, wonach mir an diesem Mittag der Sinn stand! Doch sie bestand darauf, sie wollte es um jeden Preis! Ich konnte es nur mit mir geschehen lassen…


5.
Wir endeten einander gegenüber an einem kleinen Tisch in . Ziemlich vorhersehbar, da all meine ehebrecherischen Romanzen in dieser Kneipe um die Ecke endeten. Um fünf Uhr wurde hier schon geöffnet und der Kneipenchef tolerierte mich so wie ich war. An der Theke saß da eigentlich immer so ein junges Ding, meistens so eins, das mich ins Bett kriegen wollte. Ob mir das nun gefiel oder nicht.
Ich bestellte gleich mal eine Tagessuppe. Auf Eefjes Kosten. Nach und nach spürte ich, daß ich wieder zu Kräften kam. So ging das nun einmal bei mir; himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt…
<>, so fragte ich sie und fuhr fort: <>
Wir plauderten ein wenig über Ginette, d.h. über die näherrückende Scheidung. Aber Eefje mußte wissen, daß das mit ihr, Eefje, dann genauso wenig weiterlaufen konnte. Wenn das mit Ginette vorbei war, waren für mich automatisch alle Beziehungen vorbei. Wer legte denn noch Wert auf eine Beziehung? Beziehungen waren etwas aus dem Mittelalter. - <>
<>, sagte ich dann. <>
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<>, sagte Eefje. <>
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Ja, es war wirklich eindeutig: Eefje wartete darauf, daß meine Ehe mit Ginette zerbrochen sein würde. Doch Eefje selbst war zu zuverlässig, zu lieb, zu gut für mich. Das Süd-Antwerpener Schicksal brachte es nun einmal mit sich, daß mir nur dramatische Schlampen und hysterische Flittchen vorherbestimmt waren. Daher auch meine dreckige, ja schlichtweg katastrophale Ausstrahlung. Derlei anstrengende Katastrophenmädchen waren, alles in allem, das einzige, wo ich mich zuhause fühlte. Die Mädchen, die von ihrem eigenen Zuhause geflohen waren!
Inzwischen regnete es so gemein, daß wir noch bis nach Mitternacht in Der Straßenkneipe sitzen bleiben mußten. Um zwei Uhr mitten in der Nacht würde Ginette erst heimkommen. Ein halbes Stündchen davor nahmen Eefje und ich dann doch Abschied.
<>, so sprach sie.
<>, sagte ich.
Es hatte keinen Sinn mehr, ich mußte allein sein. Zwanzig Jahre lang mußte ich jetzt alleine sein.
Einmal zuhause angekommen, drehte ich mir doch wieder einen Joint. Das mußte nun aber wirklich der Letzte werden, denn danach war aller Stoff aufgebraucht. Zum Glück! Als Das Silberne Seepferd, Ginette, schließlich nachhause kam, lag ich wie ein Salzsack wieder im Schlafzimmer, rücklings auf dem Boden. Alle Lichter brannten und das Fenster war auf. Das Unwetter regnete herein wie bei Nosferatu, dem Untoten.
Mein Gott, was für ein gräßlicher Winter würde das werden! Womit hatten wir das nur verdient? War es nicht genug gewesen? Seit wie langer Zeit hatten wir hierauf schon keine Lust mehr…


6.
Natürlich hatte Ginette diese Niete dabei - Den Gregor. Obwohl, es mußte gesagt werden: Er was sicher nicht der Allerschlechteste! Einiges weniger mies als die meisten seiner Vorgänger! Er erschrak sich halbtot, als er mich hier sah. Er wollte nur mal kurz auf die Toilette, mehr nicht; jetzt stolperte er geradezu über mich. Wahrscheinlich hatte Ginette ihm weisgemacht, ich sei nicht mehr zuhause. Wie dem auch sei. <>, fragte er dann also lächelnd.
<>, sagte ich. <>
<>, sagte Ginette. <>
<> sagte ich selbst. <>
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Eher beschämt als etwas anderes machte sich Der Gregor sich von dannen. Ginette legte eine Platte auf, es war Orgelmusik. Im Ansatz wahrscheinlich etwas Fröhliches und dennoch machte es mich total melancholisch. Das dämmrige Schlafzimmer schien dadurch flüssig zu werden. <>, so rief ich, in meinen Gedanken, Gott dem Herrn an. Bis, ein wenig später, auch die Nachbarn von oben wieder ihren Teil dazu beitrugen. Leute, die über einem wohnten, waren nun mal das schrecklichste Geschehen seit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem irdischen Paradies (man nehme zur Kenntnis: 4074 Jahren vor der Geburt des Heilands von Nazareth - jedenfalls, wenn wir dem Rechensystem des Erzbischofs von Usher glauben schenken dürfen, aber der Mann war ja nicht ganz bei Trost; nahm die Bibel viel zu wörtlich). Anfangs hörte man sie kreischen, schimpfen, verdammt heftig mit den Türen schlagen! Ständig hin- und herrennen über ihren Parkettboden, der – wie es der Zufall wollte – immerhin schließlich auch deine Zimmerdecke war. Dann, fünfzehn Minuten später, hörte man sie wie junge Ferkelchen ficken. Und immer auf die gleiche Weise, immer im gleichen Tempo, mit denselben, fast einstudiert wirkenden Schreichen. Ah! Ah! Als ob ein Kassette laufen würde, jedes Mal so irre identische Geräusche!
Glücklicherweise schrie Ginette nur selten. Wir beide blieben tatsächlich ziemlich friedlich und wohlerzogen, sowohl beim Sex, als auch beim Streiten. Wir nahmen ungefähr alles voneinander hin. Widerstand zu leisten, hätte auch wenig Sinn gemacht.


7.
Auf einem Bein hinkend begab ich mich dann mal auf die Straße, durch all die schwachsinnigen Nebel, die dort parat lagen. Halb neun in der Früh war es, die Stunde, zu der ich normalerweise mit versoffenem Kopf schlafengegangen wäre. Die vergangenen fünfzehn Jahre hatten mich langsam von diesem alltäglichen, eher gesellschaftlichen Leben total abgeschnitten. Und sowas merkte man jetzt erst.
Der Nachbar von schräg gegenüber, so’ n meisterlich pervertierter, pensionierter Staatspolizist, hatte mich anständig gekleidet aus dem Haus kommen sehen. Als ich an ihm vorbeiging, wurde er crazy. Er betrachtete mich wirklich sprachlos, als ob ich durchdrehen würde. Als wolle ich zu Fuß nach Peking gehen. Jaja, dachte ich bloß und humpelte weiter.
Die Redaktion Der Freien Zeitung lag in einem ziemlich verschneiten Gebiet, nicht weit vom Vorstadtbahnhof in Berchem. Hätte dort ein Feldbett für mich bereitgestanden, mit oder auch ohne Pferdedecke, ich wäre darauf möglicherweise sogleich wieder eingeschlafen – wie ein Backstein und für den Rest der Woche! Für den Rest dieses Jahres! Verdammt, es hätte Mitternacht sein können! Stockdunkel war es um mich herum - und eiskalt überall! Das also, so sah ich, war der berüchtigte Strudel - die Tretmühle! Es hatte mich also endlich dorthin verschlagen! Es gab kein Entrinnen mehr, ich gehörte jetzt dazu. Würde die Menschheit, so dachte ich, von mir erwarten, daß ich von heute an jeden Tag so scheißfrüh, im Stockdunkeln, einen Strohsack unter dem Arm, wie ein Lamm zu diesem Bürogebäude getrottet käme, oder was?
Sofort beim Eintreten durch eine hohe Glastür, fiel mein Blick unmittelbar auf ein ziemlich schlankes und in eine stramme Jeans gehülltes, aber einigermaßen ungeschickt blondiertes Fräulein. Es schenkte sich offenbar gerade eine Tasse Kaffee ein, während sie mit den Augen verfolgte, wie ich näher kam. Jemand anderen, ein aufgedunsenes Kerlchen mit einer schmalen Brille, fragte ich, wo ich den Herrn Verstijvens treffen konnte.
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<> Der Deutlichkeit halber!
<> sagte jemand anders. <>
All right…
Würde man dieses Blondinchen einmal wiedersehen, eines Tages? Ich ging wieder nach draußen und zu meiner Freude merkte ich, daß sie mich aufmerksam durch die Reihen riesenhafter Fenster hindurch betrachtete, bis ich den Innenhof wieder auf dem Fußweg aus Kieselstein überquert hatte.


8.
Der abstrakte Kafkaianer, der Herr Verstijvens hieß, war auch nicht auf der Redaktion Der Freien Zeitung zu finden. Stattdessen wurde ich eben von einem gewissen Jossen empfangen. Ich hatte noch nie im Leben von jemandem gehört, der Jossen hieß, doch alle behaupteten, er sei hier der Große Boss. Jedenfalls saß er in einem separaten, außergewöhnlich deprimierendem, kleinen Arbeitszimmer – scheinbar die Belohnung für Leute, die es an die Spitze geschafft hatten: daß sie vom gewöhnlichen Personal isoliert wurden.
<>, wollte er wissen. Zunächst.
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Durch das schmuddlige Fensterchen hindurch konnte ich schon mal die Angestellten Der Freien Zeitung beobachten. Die meisten schienen völlig ziellos hin- und herzuschlendern, verteilten Gebäck oder telefonierten vor sich hin. Da und dort saß jemand hinter einem Computer und tippte etwas, oder er tat, als tippte er etwas. Überall, auch hier drinnen, in diesem separaten Treibhaus, um es so auszudrücken, lief leise das Radio. Das war zumindest ein Trost: daß man hier zwar sterben konnte, aber dann wenigstens mit dieser gewaltigen Musik im Hintergrund…
<>, fragte mich der Jossen. <>, sagte ich.
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Darüber mußte er scheinbar kurz nachdenken. Ziemlich gründlich sogar.
<> so sprach er dann, während er sich nach hinten lehnte, <>
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Bei Gott! Kolumnisten! Irgendwie schien mir das Schreiben von Kolumnen nunmal die allereinfachste Art, Geld zu verdienen, vielleicht sogar noch einfacher als Stempeln zu gehen! In Kneipen war ich wohl mal solchen sogenannten Kolumnisten begegnet. Das waren ständig solche absoluten Grünschnäbel, totale Verlierer. Mir war klar, wenn schon derlei Debile tatsächlich jeden Tag eine Kolumne schrieben, wie viele würde ich selbst dann nicht zusammenbekommen? An einem einzigen Tag mindestens ein paar hundert. Dessen war ich mir sicher.
Kolumnisten konnten sie hier auf der Redaktion allerdings noch weniger brauchen, als welche Gestalten auch immer. Es gab offensichtlich nur eine einzige freie Stelle, so drückte es mir der Jossen mitten aufs Herz: die freie Stelle befand sich in der PR-Abteilung. Auf einmal dachte ich an Ginette. Wie würde Ginette reagieren, wenn ich gleich nachhause käme und sie fragte: . Ich würde ihr dann als Replik geben:
Wie lang ich inzwischen schon , wie man das nannte? Jan Fabres Kunst wurde jährlich mit 15 Milliarden Belgische Franken aus der Staatskasse subventioniert. Die meisten Schöffen und linken Parteivorsitzenden hinterzogen wöchentlich 15 Milliarden, doch ich war und blieb einer, der dem … Weil ich keinen Führerschein hatte oder weil ich noch immer nicht wußte, wie man einen Scheck ausfüllt.
<> sagte ich. <<Öffentlichkeitsarbeit ist sicher all right. Was mich betrifft.>>
<>, sagte der Jossen.
Ich würde sofort anfangen. Auch wenn ich fast vor Müdigkeit umkippte – wenn ich gedurft hätte, hätte ich mich hier direkt unter der Tischplatte dieses schwachsinnigen Jossens abgelegt, um meinen Schlaf nachzuholen. Es sah jedoch nicht danach aus, als würde dieser Typ ein solches Verhalten geschätzt haben. Dieser Jossen war ein Fanatiker und hatte absolut kein Gefühl für Humor. Eine Eingebung meiner Menschenkenntnis…


9.
Die PR-Abteilung befand sich im hinteren Teil der Redaktion. Das hatte den Vorteil, daß mich die meisten Mitarbeiter hier völlig ungestört ließen. Das Einzige, mit dem ich mich hier von morgens bis abends beschäftigte, die Augen halb zu und die Beine vor Müdigkeit weit gespreizt, war das sortieren von Postpaketen. Ein sogenannter Kurier mußte die Päckchen einmal mittags und einmal abends abholen kommen. Das war alles.
, dachte ich mir so. Denn es war ja auch wirklich genial! Ein perfekter Deppenjob, aber man konnte es wenigstens nennen! Und es war anständig bezahlt, ich hatte hier einen richtigen Angestelltenvertrag. Kurzum, ich gehörte nun tatsächlich zur Welt-Der-Erwachsenen. Meine Großmutter mütterlicherseits wäre, wenn sie noch leben würde, stolz auf mich gewesen.
Manchmal klingelte sogar das Telefon. Weil ich vorläufig noch nicht war, brauchte ich den Anruf einfach nur durchschalten, und zwar zu einer gewissen Katia, die hier arbeitete. Die Katia saß zwei Tische weiter und löste allen möglichen Mist von uns - nicht nur meinen, die gesamte PR-Abteilung war von ihrer Fürsorge abhängig. Was für ein Glück! Diese Katia war, bei Licht besehen, einfach phantastisch! Auf ihrem Schreibtisch standen unzählige Fotos von ihren beiden Kindern - in einem Park, auf einem Spielplatz - doch auf keinem dieser Fotos war ein Vater zu entdecken. Dieses Klassefrauchen war also erst frisch geschieden? Gar nicht so lange her, ein oder vielleicht zwei Jahre, schätzte ich. Jedesmal wenn Katia sich zu meinem Computer bückte, um ihn für mich zu starten oder auch wieder auszumachen, konnte ich es nicht lassen, mir ihr weiches, jedoch beeindruckendes, weil deutlich konturiertes, birnenförmiges Hinterteil in aller Bescheidenheit rasch genauer anzusehen. Meist steckte es in einer hellblauen Jeans… Vielleicht war es an der Zeit, meinen Alptraum – denn das war es - mit Ginette zu beenden, endlich einmal! Vielleicht wäre das ja für alle Beteiligten das Beste. Dieses Elend hatte nun wirklich lange genug gedauert.
Mittags durften wir ein halbes Stündchen Pause machen. Wie wir die verbrachten, blieb uns überlassen. Die meisten schienen freiwillig in der Redaktion sitzenzubleiben. Draußen, in der unmittelbaren Nachbarschaft des Berchemer Bahnhofs, gab es natürlich lächerlich wenig zu entdecken, das war offensichtlich. Also scharten sich die Damen und Herren in einem kleinen quadratischen Zimmerchen ohne Fenster – das sie das nannten. Es war dort nicht viel größer als in einer geräumigen Besenkammer. Dort standen zwei grandiose Kaffeemaschinen und ein Getränkeautomat – denn alle Journalisten tranken wie verrückt Kaffee und Cola Light. Als versuchten sie, mithilfe der Kaffee- und Cola-Light-Mengen, ihre jämmerlichsten Frustrationen im Nachhinein herunterzuspülen, - den Unterschied zwischen ihren langgehegten Jugendträumen und dem, was sich hier tatsächlich abspielte; noch immer eine Art industrieller Revolution auf vollen Touren.
Die Atmosphäre dieser Leutchen untereinander war dann auch eine einzige Sauerei. Andauernd verbreiteten sie diese kaum nachvollziehbaren, gewiß herablassenden Witze, zum Beispiel über einen gewissen René, einen Fotografen. Sahen sie seine Herrschaft allerdings hereinspazieren, fingen sie blitzschnell an, so plötzlich wie es eben ging, über einen anderen Kollegen abzuziehen: den Layouter, den Pförtner. Und das war nicht einfach nur Lästern, richtig viehisch war das. So verletzend wie möglich, bis in die widerlichsten Details - kurzum, Futter für Amnesty International! Es schien so sein zu müssen: ständig einander niedermachen, der Reihe nach, um den Arbeitsdruck zu lindern.
Am schlimmsten war es für den großen Boss dieses Stalles, den bereits genannten Jossen. Umständehalber fiel seine Pause immer ein wenig später als die der anderen. So einsam wie er sich meist in seinem separaten, hermetisch abgeschlossenen Affenkäfig (seiner ) abrackerte, genauso verlassen, von Gott verlassen, saß er jedes Mal in diesem sogenannten Refektorium und versauerte. Während die anderen auf Reportage waren oder stattdessen angeblich unheimlich damit beschäftig waren, neue Artikelchen zu schreiben (Artikelchen, um die sich überdies doch keiner kümmerte, die niemanden einen Jota interessierten, die meist schon am folgenden Tag, unmittelbar beim Erscheinen, im Abfalleimer verschwanden).
Manchmal geschah es aber doch, daß Jossen sich während der Pause zu uns gesellte. Dann wichen wir vor ihm zurück, als sei er ein Aussätziger. Augenblicklich verstummten alle Gespräche, erstarb das Gekicher. Dieser Jossen war, mit anderen Worten, der einsamste Mensch, den ich je gesehen hatte; einsamer noch als ich selbst nach zwei Jahren Streß mit Ginette, den Nachbarn, den Tauben auf dem Dach des Indoor-Sportzentrums.
Also fragte ich Katia einmal Folgendes: <>. So fragte ich. <>.
<>, sagte Katia eiskalt. Und damit war für sie alles gesagt. Manche einfachen, eher gewöhnlichen Mädchen, wie Katia doch eines war, die noch nie von Thomas Morus oder einem elliptischen Distichon, gehört hatten, konnten manchmal gerade besonders gnadenlos sein, wenn es darum ging, die Wahrheit zu verkünden.
Scheinbar war dieser Jossen hier noch ein ziemlicher Neuling. Doch gleichzeitig mit diesem Mann soll über Die Freie Zeitung eine regelrechte Tyrannei hereingebrochen sein. Früher ging es auf der Redaktion viel fröhlicher zu, wurde gelacht, gab es Meetings - freiwillig machten die Leute Überstunden! Nun glich Die Freie Zeitung einer Strafverhandlung. Es hatte alles damit zu tun, daß wir eine Antwerpener Zeitung waren, voll Neuigkeiten von eigenem Boden, während der Jossen aus der Gegend von Kempen, dem fernen Herentals herbeordert worden war. Das machte ihn ganz schön unsicher und seine Frustrationen reagierte er dann an seinem Personal ab. Sehr verständlich, das bestimmt!
Ich selbst durfte mich aber nicht beklagen. Ich brauchte nämlich nur so zu tun, als habe ich Streß. Was an sich nicht unanstrengend war, aber was soll’ s. Ich verdiente jetzt 45.000 Belgische Frankenstücke netto pro Monat, mehr als das Doppelte dessen, was ich beim Arbeitsamt zusammengesammelt bekam. Zumindest, wenn ich das Ende des Monats erreichen würde! Doch dessen war ich mir nicht so sicher. Als ich ein zarter Twen war, hoffte ich bei jedem Gebet sehnlich, sterben zu dürfen – fallen zu dürfen! -, spätestens um mein dreißigstes Lebensjahr herum. Und nun war es schon so weit gekommen…


10.
Was die Mittagspause sonst noch betraf: in dem niedriggewölbten, von Kaffeedunst und Qualm durchtränktem, hyperklaustrophobischen Refektorium von denen, hätte ich es unmöglich eine ganze Karriere lang ausgehalten. Nach zwei oder drei Tagen war bei mir dann auch die Luft raus. Also schlenderte ich einfach so durch die naßverschneiten Straßen hier in der Gegend.
Ich überquerte den kleinen Innenhof. Dort, unter den trostlos hohen Fenstern des Fernsehsenders, der ATV hieß, ließ ich nichts unversucht, um wieder die Aufmerksamkeit des anderen Blondinchens auf mich zu ziehen, des ersten Mädchen, das ich hier gesehen hatte, dessen Name ich jedoch nicht einmal kannte. Doch alles war vergebens! Arbeitete sie vielleicht schon nicht mehr hier? Vielleicht hatte sie hier nie wirklich gearbeitet, und ich hatte mir ihr Sex-Appeal und so nur eingebildet, weil es an jenem unvergesslichen Tag noch so früh am Morgen gewesen war.
Ganz in der Nähe des Bahnhofs befand sich eine Kneipe, die hieß. Ich hatte von dieser unbedeutenden Pinte irgendwann schon mal gehört - einer meiner Kumpel, Der Charles Nelson, hatte hier regelmäßig einen Auftritt. Er lud mich dann mit viel Nachdruck ein, dennoch war ich hier bisher nicht hingekommen.
(Ich konnte nicht Auto fahren, aber gegen Busse und Trams hatte ich einen möglicherweise genetisch bestimmten Widerwillen. Das war auch der Grund, weshalb ich dauernd durch die Südstadt schlenderte. Inzwischen schlenderte ich schon zwölf Jahre durch die Südstadt. Dort gab es genug Kneipen, um nicht zu sagen: zu viele! Und Kneipen waren nun einmal, zumindest allgemein betrachtet, die idiotischsten Sachen der Welt! Dort geschah nie etwas Erhebendes, aber überall hing da dieser Nikotinqualm, so daß man, statt hineinzugehen, ebensogut wegbleiben konnte. Man konnte genausogut zuhause bleiben, und da allein ein Päckchen Tabak aufessen; das war zumindest billiger. Und trotzdem, alle taten stets, als sei das normal, und machten einfach immer so weiter. Nach Ludwig XIV war unser Universum doch nie mehr ganz ins Gleichgewicht gekommen…)
(Erst zu Zeiten Ludwigs XIV begann das Rauchen wirklich in Mode zu kommen. Anfangs erwies sich der Sonnenkönig als ein fanatischer Rauchgegner. Mit dem Älterwerden lernte er die verderbliche Sucht derer, die ihn umgaben, mehr und mehr zu akzeptieren. Das war etwas, das er nie hätte tun dürfen.)
Glücklicherweise war Der Muselmann noch einigermaßen akzeptabel. Der Laden war noch geschlossen, die Barhocker und Stühle standen noch alle umgedreht da und es stank nach Bohnerwachs, wie damals bei den Nachbarn im Dorf, als ich noch ein Kind war. Trotzdem, bloß wegen meiner hübschen Augen ließ mich die Wirtin, oder was als die Wirtin durchging, herein. Dort spielte keine Musik und das war auch gut so: Mein Kopf war inzwischen kurz davor, zu explodieren! In der vergangenen Nacht war Der Gregor wieder einmal bis in alle Herrgottsfrühe zu Besuch gewesen. Ich war mir dessen nicht ganz sicher, aber mehr als wahrscheinlich hatte ich ihn gemeinsam mit meiner ureigensten Frau zu Gange gehört, in einem bestimmten Augenblick. Es war also eine Scheißnacht gewesen, wenn man weiß, was ich meine! (Wenn ich auch gestehen mußte: lieber er als ich!)
Im Eiltempo trank ich ein paar dieser schlaffen Biere, die sie hier zapften. Dann kam ein riesenhafter Kerl mit Sonnenbrille herein - erst sein hoher, breiter Schatten, anschließend er selbst in Person. Er hatte einen gigantischen Joint im Maul und betrachtete mich äußerst durchdringend. Scheinbar dachte er angestrengt über Folgendes nach: ob er mich gleich, ohne viel Aufhebens, kurz und klein schlagen sollte, oder besser doch nicht - falls schon, dann nicht aus Aggression, sondern einfach aus Mangel an irgendeiner andersgearteten Begeisterung. Schließlich stellte er sich, doch ziemlich gelassen, dicht neben mich in seinem langen, purpurfarbenen Ledermantel. Er bestellte zwei neue Bierchen – von denen eines für mich war - und überreichte mir seinen riesenhaften Joint. Daß ich zufällig, seit einem halben Jahr, kategorisch versuchte, mit dem Blowen aufzuhören, konnte ich ihm unmöglich weismachen; er schob mir den Joint regelrecht durch die Nase. Und was man bereits vermutete, bewahrheitete sich: es war natürlich besonders heftiger Tobak. <>, sprach er lachend. (Es war nicht wirklich ein Lachen…)
Nach zwei oder drei Zügen fing ich an vor Kälte zu zittern und in meinen Gliedern und entlang des Rückrads spürte ich enorme spastische Schübe hochkommen – möglicherweise steckten in diesem Tabak ja auch feingemahlene Kokablättchen? Die metallene Theke vor meiner Nase schien ein wenig flüssig zu werden, und die Lampen fingen an ein wenig stärker zu brennen, der kalte Windzug von draußen wurde noch kälter und schnitt mir heftig in den Hintern wie nicht mehr normal.
<>, so redete der Typ mit der Sonnenbrille. Endlich nahm er mir den Joint wieder ab. <>, stammelte ich.
<>, sprach er. <>
Ich mußte fast kotzen. Am allerliebsten hätte ich mich hier auf den Boden gelegt, bis alles vorbei war! Aber der Typ, der Baby Elefant hieß, hörte nicht mehr auf zu labern. Er war, erzählte er, ein Parkhauswächter. In der Nähe des Oudaan - ob ich mich dort auskannte? Gleich bei der Polizeizentrale. Er konnte auch verdammt gut Trampolinspringen.
Als er mich zum ersten Mal sah, damals bei mir zuhause, hielt er mich ehrlich gesagt auf den erstem Blick irgendwie für einen Arsch, einen eingebildeten Deppen. Doch hier, in der Kneipe, erweckte ich einen völlig anderen Eindruck. <>, so sprach er, <>. Offensichtlich hielt er das für eine Qualität!? <> sagte er noch, <>
<>
<>, fragte die Wirtin. Sie hatte sich mit Händen und Knien auf einen Putzlappen gesetzt. Und es roch hier immer noch so stark nach meinen Kinderjahren, insbesondere nach dem einen üblen Tag, an dem ich das kurzberockte Nachbarsmädchen mit den lila Knien so viel unbeschreibliches Leid zugefügt hatte (will heißen, an dem ich das Mädchen, das zudem noch weinig verkehrtgemacht hatte, mit Telefonkabeln tief in einem Kiefernwald festgebunden, jedoch vergessen hatte, sie zu erlösen. Einen naßfeuchten, windigen Nachmittag und einen frostigkalten Vorabend lang war sie dort angebunden und plärrte…)
<>
<>, sagte Baby Elefant. <>
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Beim Hinausgehen wurde mir plötzlich so übel, fühlte ich mich so seekrank und aufgeschwollen, daß ich kurz buchstäblich die Hand nicht mehr vor Augen sah. Es hätte nicht viel gefehlt und ein immenser LKW, der hier vorbeifuhr, hätte mich zerschmettert. <> rief der Fahrer noch durch sein Fenster.
Solch ein Tag wurde das also. So ein klassischer Untag, an dem sich augenscheinlich sogar anonyme Passanten die Mühe machten, dich auf Englisch zu beschimpfen…
<>, sagte Baby Elefant wieder, <>
Ich überquerte die Straße und spazierte ein wenig später, mehr tot als lebendig, in den Redaktionssaal. Jossen persönlich stand hier zufällig am Kopierapparat. <>, entfuhr es ihm spontan. <>
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Eher schwankend als aufrecht ging ich an Katia vorbei. Ich sah wieder ihre Jeans. Auf einmal wurde ich wieder schrecklich geil und es war mir noch übler als zuvor! So vorsichtig wie möglich setzte ich mich hinter meinen Bildschirm. Oh Herr, erlöse uns aus diesem Elend! Erbarmen, oh heilige Veronika!
Klingelte gerade das Telefon? Mehr recht als schlecht schaltete ich durch. Danach klingelte das Telefon gleich wieder. <>, sagte Katia. Das würde sicher Jossen sein!? Der wollte mir bestimmt mal auf den Zahn fühlen, das war klar…
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<> Eine heisere, nervenkranke Stimme war am anderen Ende der langen Leitung. <>
Nein! Nicht das, das nie wieder! Von selbst legten meine beiden Hände den Hörer wieder auf. Bitte, bitte keinen Baby Elefant mehr! Und auch sonst niemanden mehr, außer einem Krankenwagen.
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<> sagte Katia, <>
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Ich würde einen gräßlichen Furz lassen!? Schlimmer noch: Durchfall kündigte sich an, Durchfall bis hinter die schmelzenden Schneefelder Alaskas! Das mußte ich auf alle Fälle verhindern, zumindest in Anwesenheit der so lieblichen Katia! Das würde ein Schande für mich werden, die Ihresgleichen sucht…
Ich lag wieder mit dem Gesicht auf der Tischplatte. Es wurde so kalt um mich herum – wie am Nordpol! Der Joint aus Dem Muselmann war schon vor mindestens einer halbe Stunde aufgebraucht und dennoch, dennoch wurde es nur noch schlimmer. Ich konnte nicht mehr, der Kopf fiel mir von den Schultern. Wo war ich? Wo war oben, wo unten?
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<>, sagte Katia. <>
Sie nahm mich bei der Hand, als wäre ich ein blinder Rentner. So führte sie mich alle Treppen hinab, durch Türen und Gänge. Entlang der düster sinister widerhallenden Portale. Und draußen, außer Angst, doch auch wieder der große, elende Kummer; weil Katia zu gut für mich war.
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So stammelte ich.
Ich rollte auf den Rücksitz. Wir fuhren in die Stadt als seien wir in Richtung Jenseits unterwegs.


11.
Ginette war nirgends mehr. Nicht in der Küche, und noch weniger im Schlafzimmer. Alle Fenster waren weit geöffnet. Nasse Schneeböen kamen mit dem Wind hereingeflattert. Die Vorhänge sahen aus, als wären sie klatschnaß, tanzten jedoch langsam in der morbiden, kreidebleichen Straßenbeleuchtung auf und ab, die entlang der Wohnung schien.
Rücklings legte ich mich auf den Eßtisch nieder.
Ich hatte einen seltsamen Traum, etwas über die Redaktion Der Freien Zeitung, aber dann um einiges festlicher. Alle jungen Dinger dort trugen lange, weiße Kleidchen und sogar Katia trug ein weißes Kleid. Darunter hatte sie ihre immergleiche und hartnäckig erotisierende scharfe blaue Jeans an. Im Refektorium, seitlich er Türe, sahen wir jetzt, vielleicht anstelle der beiden Kaffeemaschinen, eine Jukebox bereitstehen!? Klassische Musik klang durch das Gebäude; Kantaten von Bach, Suites von Marain Marais aus dem späten 17ten Jahrhundert… Ich wurde zu Napoleon. Aber nein! Das würde doch nicht… Das ging doch nicht… Nein, doch hoffentlich nicht in eine Levitation enden? Tatsächlich: sowas passierte regelmäßig, vor allem am Ende eines so merkwürdigen Alptraums: eine schwer zu beschreibende, wenngleich in jeder Hinsicht ganz schön beängstigende, halbaußerirdische Kirmes, auf der sich meine Seele (falls es so etwas gab, das genannt werden durfte!) aus meinem Körper löste, so daß ich, sozusagen, aus mir selbst aufzusteigen schien, genau bis unter die Zimmerdecke. Aber nein – heute Abend kam es nicht dazu! Glücklicherweise.
Als ich aus dem Schlaf aufschreckte, dachte ich: Ginette! Kam sie herein? Was tun, wenn sie mich hier, auf so schändliche hündische Weise antreffen würde! Doch Ginette war noch immer nirgends. Und just, während ich mich ihrer Abwesenheit bewußt wurde, kam auch folgende Erkenntnis: So pur, wie ich Ginette liebte, vor so langer Zeit, würde ich nie jemand anderen Neuen lieben können. All meinem üblichen Wahnsinn zum Trotz - dies war die ewigwährende Einsamkeit, in die ich erwacht war.
Inzwischen war es wie spät am Abend? Vielleicht schon nach Mitternacht. Ich wollte Eefje anrufen, aber dann doch wieder nicht. Eefje ging immer ans Telefon, das war schließlich der Vorteil und gleichzeitig auch der Nachteil von so einem Handy.
Also erst die 1200 wählen…
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Sollte es in diesem Haus irgendwann, ja in Kürze, noch einsamer zugehen, als wir es inzwischen doch schon gewohnt waren, so ohne Schutz, ohne Verständnis von wem auch immer. In diesem Fall würden wir immerhin noch, Tag und Nacht, die unermüdliche Dame von der Zeitansage erreichen können…
Anschließend die Redaktion Der Freien Zeitung. Ob Katia wohl noch da sei? Gott sei Dank.
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<> sagte sie, <>
<> – jetzt kurz durchhalten -, <>
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Was nun? Warum so heavy, warum tat sie nun auf einmal so heavy? Und so schwer einschätzbar? Was konnte ich mir noch einfallen lassen? Hatte sie mich denn nicht gern? Ich spürte nur Begehren. Es verschlug mir komplett die Sprache und ich fing sogar wieder an zu zitterten.
<>, so meinte sie schließlich, <>
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Immer dieses Herumlaufen! Dieses mehr oder weniger freiwillige von einem grotesken Unheil zum nächsten spurten! Nicht, weil ich bin, was man nennt - denn ich wußte mich seit langem auch zum Sex nicht mehr fähig! Also wozu das alles? Weil diese Wohnung in der Südstadt, diesem niederschmetternden Höllenfeuer, inzwischen nicht mehr menschlich war! Es war die sprichwörtliche Höhle des Löwen, der Ort, an dem uns nur noch Tod oder Verderben oder ein ruhmloser Untergang erwartete. Eine allestötende Verbitterung!
Die Aussicht auf Katia war natürlich nicht übel, gewiß! Sicher war sie klug genug - vernünftig genug, um sich meinen üblichen Scheißkram, in dem ich mich notgedrungen täglich wälzte, vom Leib zu halten. Sie selbst war natürlich auch ganz schön angeschlagen, daran gab es keinen Zweifel. Zwei Kinder, dazu ein Ex, der sie belästigte… Von dieser Seite war also kein Streß zu erwarten, zumindest nicht zwangsläufig! Einfach gegenseitig die Körperwärme des anderen spüren, für nur eine einzige Nacht. Oder anders vielleicht, im besten Falle, für etwa fünf, sechs, sieben Monate, bis dieser Winter vorübergegangen sein würde! Bei diesem so eisigen Wettertyp wollte niemand ganz alleine sein.
Nein, wahrhaftig, diese Aussicht tat meinem Selbstvertrauen gut! Wie lange schon hatte ich nun tatsächlich keinen lausigen Franken mehr in der Tasche? Und ich sah aus wie ein Paria: mein Haar zerzaust, seit Tagen nicht mehr rasiert. Und doch hatte ich augenscheinlich immer noch ganz schön viel Erfolg bei den Damen! Mehr wahrscheinlich, als es solche durchschnittlichen, sich immer bloß abrackernden Karriereheinis für möglich gehalten hätten! Der Jossen beispielsweise, - doch unser Großer Boss - der Blödmann wird bestimmt in seinem ganzen Leben nicht so viele Abenteuer gehabt haben, wie der arme Schlucker, der ich war. Im Nachhinein betrachtet, auf dem Sterbebett…
Zur Straßenkneipe. Wieder zu Kräften kommen! Ich hatte dort eine offene Rechnung von über 5000. <>
Mir wurde Folgendes klar: Fuck!
Fuck!
Ich kannte von diesem dämlichen Katiaweib noch nicht einmal die genaue Adresse! Die hatte sie mir nie gegeben! Ich war auch zu stoned gewesen, um danach zu fangen! Mein Gott! Was für ein Hinterteil, erbärmlicher als das Hinterteil eines Schweins war ich!
Also gingen wir Whisky saufen!? Um uns abzureagieren!? Es blieb nicht viel anderes übrig. Ein einziges Mal pro Halbjahr hatte ein rechtschaffener, aber zum Sklaven gewordener Weltbürger nun einmal Anspruch auf etwas Whisky. Umso mehr, wenn es dort so verraucht war, plus derart viel Lärm herrschte wie in ausgerechnet dieser Kneipe! Von Whisky wurde man nicht betrunken, aber regelrecht närrisch und unmöglich, das schon. Sogar so ein armer Schlappschwanz wie ich wurde von Four Roses (dem billigsten Bourbon zu Felde) ein kleines bißchen aufbrausend. Einst, vor langer Zeit, genehmigte ich mir doch ein halbes Jahr lang mindestens eine Flasche Four Roses pro Tag. Ein großes, gestohlenes Damenrad mit Tragetaschen warf ich damals vor Elend lauthals lachend in den Scheldefluß. Das erste Mal, als Ginette nicht mehr nachhause kam, als sie angeblich übernachtete - Saskia oder Anneleen, in der Sankt-Rochusstraße, ganz in der Nähe des Gefängnisses.


12.
Es gab also mal wieder eine Feier, diesmal in dem heillosen besetzten Haus am Südbahnhof. Wie lange schon hatte ich den Unterleib voll von diesem Hausbesetzermilieu? Zu viele wilde Hunde, zu viele Betonwände voll deprimierendem Graffiti! Im Laufe eines solchen Festes gab es auch immer irgendein Krach – davor hatte ich unglaubliche Angst. Wie leichtsinnig diese Kerle mit ihrer Gesundheit umgingen. Wenn da jemand aus dem Auge blutete, dann . Wenn sich einer das Genick brach, dann . Aber ich war hier, weil ich Ginette sprechen mußte. In Der Straßenkneipe hatten sie mir erzählt, daß sie hier sei, deshalb war ich gekommen. Ich war mit dem Drummer der O’Hara’s mitgefahren.
Auch der Blödmann war wieder da, der Vollidiot, der sich Baby Elefant nennen ließ. Er saß mit einer Flasche Wein in der Hand auf einer hohen, schmiedeeisernen Regentonne seitlich der Treppenhalle und hatte noch jemanden bei sich, der hieß. Der Lümmel, Der Vilvis, war so stoned wie zwanzig Urwaldaffen zusammen. Warum hieß er übrigens De Vilvis? Seine Mutter war Schwedin und sein Vater aus Polen und er hatte seine Jugend in den U.S.A. verbracht. Manchmal war er steinreich. Dann kam er in die Scheldestadt Antwerpen, um dort sein komplettes, neuerworbenes Kapital so schnell wie möglich wieder zu verprassen. Baby Elefant machte mir weis, daß der Kerl dann in der Kneipe saß mit einer Menge hoher Türmchen 2000er Scheine in Belgischen Franken, ordentlich gestapelt vor sich auf dem Tresen. Er spendierte allen Mädels Getränke und 5000er Scheine quollen einfach so aus seiner Hinterntasche. In Amerika war er, aller Wahrscheinlichkeit nach, ein Berufskiller; anders konnte sich das niemand erklären. Dann fragte Baby Elefant mich plötzlich: <>
Natürlich liefen hier auch ordentlich viel Freundinnen von früher herum. Babs und natürlich Sandrine. Zarah und Judith und natürlich auch Rachel, die das alles organisierte. Daß ich vor gar nicht allzulanger Zeit, in nüchternem Zustand wohlgemerkt, mit dieser Rachel im Bett gewesen war, konnte ich mir nun schon überhaupt nicht mehr vorstellen. Alles an ihr sah abstoßend aus. Ekelhafte rote Netzstrumpfhosen trug sie, ihr eckiges Gesicht war bleich wie schäumendes Spülwasser. Mit einem Kasten Bier auf ihren haarigen Armen ging sie durch das hohe, nasse, nächtliche Gras im Innenhof. Und überall sprangen Hunde herum, schmutzige Streuner mit gelbem, durchsichtigen Schwanz…
Etwas weiter spielte eine Punkband. Dort erzählte mir jemand, daß gerade eben irgend so ein Idiot, ein gewisser Diederik oder so, wegen einer Wette eine lebendige Maus verspeist hatte. Zuvor sogar ein Butterbrot mit Ameisen. Doch was kümmerte mich das? Der Whisky machte mich total visionär, als ob ich die vergangenen zehn Jahre meines Lebens hier an einem einzigen Abend aufs Neue erlebte und darüber hinaus ergründete! All die Widerwärtigkeit, so viel Unsinn! All diese mich umgebenden Statisten, deprimierender Scheißdreck! Allein zuhause, alle Tore, Fallbrücken verrammelt, konnten wir probieren, eine Vorstellung davon zu entwickeln, was Kultur einst werden könnte. Nicht heute oder morgen, aber doch ein Millennium oder fünftausend Jahre später würde nämlich tatsächlich Kultur kommen müssen; es konnte ja fast nicht mehr anders sein…
In einem großen, baufälligen Zimmer im dritten, vielleicht auch vierten Stock, genau unter einem gigantischen Kristallüster, der da hing, sahen wir Ginette wieder. Ginette! Sie saß dort auf einer dreckigen, mit Brandflecken übersäten Matratze auf ihre beiden mageren Ellebogen gelehnt und rauchte ganz andächtig eine Zigarette - dies schien ihre einzige Beschäftigung zu sein. Eine ihrer vielen neuen namenlosen Freundinnen, ein trostlos so kränkliches junges Ding mit dunkelorangefarbenem Zottelhaar, lag in ihrer Nähe auf dem Boden, völlig außer Bewußtsein. Ginette sah auch nicht gerade übertrieben wach aus.
Ich fragte sie, wann sie vorhabe, wieder nachhause zu kommen. <>
Das fragte ich sie.
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<>, so sagte ich, <>
Einen einzigen Schritt näher heran…
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Und das, obwohl Ginette früher so nobel war - früher war Ginette die reinste Melancholie. Doch dann, in einer Nacht wie dieser, verkauften wir unsere Seelen an den Teufel und so hatte es angefangen. Auch damals schien durch so’ n zerbrochenes Glasfenster, so’ ne hohe, weiße, sprachlose Mondscheibe… Wie in einer Kirche – ohne Taufbecken an der Außenpforte, wohlgemerkt.
Auf einmal kam Der Gregor rein.
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Das fragte ich einfach. Während er mir automatisch so ‘ne fünfzig Zentiliter Dose Jupiler-Bier überreichte - Der Gregor blieb trotz allem ein Gentleman. Ich hatte im Grunde wenig gegen ihn, manchmal bedauerte ich ihn sogar! Er wollte Ginette, doch nur weil er zu lange - schon seit mindestens fünf Jahren - überhaupt keinen Sex mehr hatte. Und jetzt blondierte der sogar sein Haupthaar. Graublond, aber mit hellbraunen Strähnchen. Als ich, mehr oder weniger zufällig, in seine Richtung spähte, machte ihn das verlegen. Weswegen ich mich, meinerseits wiederum, dann wieder schämte, so trübselig…
<> Das hatte ich ihm einmal erzählt – lange her, als das noch reine Theorie war. Das waren noch Zeiten!
In jener Nacht übernachteten Der Vilvis und Baby Elefant tatsächlich bei mir zuhause. Zu Anfang auf dem Boden zwischen den Trennwänden des Wohnzimmers. Später wurde ihnen kalt, weshalb sie sich zu mir unter die Decke legten. Es machte mir nicht viel aus. Vor allem dieser Vilvis stank unsäglich. Eine bittere Kombination aus Wein, Joints, Kaugummi und starkem Alkohol. Er stank sogar nach Kotze und ließ die ganze Nacht lang die fiesesten Fürze. Aber wen kümmerte das schon? Wir lagen hier, gestrandet, wie junge Husaren auf dem Weg nach Sankt Petersburg. Irgendwann warst du ein gebrochener Mann. Robespierre zufolge nahm übrigens das Gros der Menschheit sowieso ungefähr alles hin.
Ich versuchte, so viel wie möglich von Katia zu träumen. Wie konnte ich nur so dämlich gewesen sein? Ein wenig gesunder Menschenverstand und diese ganze, ewiglange Nacht, sowie diese schier nicht enden wollende, menschenunwürdige, sich immer länger hinziehende Pestnacht, in die ich mich nun gezwängt wußte, - all das hätte so anders ausgesehen haben können! Ja, es hätte nur ein wenig mehr Achtsamkeit bedurft und ich wäre jetzt bei ihr zuhause gewesen, dann läge ich jetzt vielleicht in ihrer süßen, heißdampfenden Badewanne, während sie meinen Haarschopf kämmte! Im Hintergrund liefe Musik von heiligen Orgeln – ja, so wäre es gewesen: Katia hätte mich versorgt! Doch ich hatte mich freiwillig selbst verketzert. Hatte mich ausgeliefert an die reißenden Althebräisch brabbelnden Werwölfe um mich herum…


© Übersetzung von Isabel Hessel